Politische Entfremdung und erhebliche Wirtschaftsschäden

Der zweite Ölpreiskrieg innerhalb der letzten fünf Jahre wirkt sich auf die Finanzsituation in Saudi-Arabien verheerend aus. Nicht nur, dass sich das bilaterale Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Saudi-Arabien im Angesicht dieser Ereignisse aufdramatische Weise verschlechtert hat, lässt sich ferner auch erkennen, dass das Vertrauen unter internationalen Investoren bereits seit Jahresbeginn mehr und mehr schwindet.

Gleichzeitig setzt sich die politische Entfremdung von einer Reihe von OPEC-Partnerländern fort, während Saudi-Arabien inzwischen das Ausmaß der angerichteten Wirtschaftsschäden auf erhebliche Weise zu spüren bekommt. Ende September publizierte Zahlen zeigen, dass die saudische Ökonomie im zweiten Quartal auf Jahresbasis um sieben Prozent eingebrochen ist.

Insbesondere der saudische Privatsektor sah sich angesichts einer negativen Wachstumsrate in Höhe von 10,1 Prozent am stärksten von dieser Entwicklung betroffen, während sich der Rückgang im staatlich-öffentlichen Sektor in Q2 auf immerhin 3,5 Prozent belief. Ein Blick auf den Verlauf des ersten Halbjahrs zeigt, dass die Öleinnahmen des Königreichs gegenüber dem Vorjahr um 35 Prozent einbrachen.

Einnahmen aus Wirtschaftsbereichen außerhalb des Erdölsektors sanken im Berichtszeitraum um 37 Prozent. Und so zeigen sich Analysten ob der Tatsache besorgt, dass die Einnahmen der Saudis aus Raffinerieaktivitäten im zweiten Quartal im Vergleich zur Vorjahresperiode um vierzehn Prozent zurückgingen.

Leistungsbilanzdefizit bei minus zwölf Prozent – Corona nicht alleine der Grund!

All diese beschriebenen Entwicklungen übersetzten sich in Q2 in ein Leistungsbilanzdefizit, das bei 67,4 Milliarden Rial oder umgerechnet achtzehn Milliarden US-Dollar – oder zwölf Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt – lag.

Im Vorjahr hatte Saudi-Arabien laut der nationalen Statistikbehörde des Landes im zweiten Quartal noch einen Leistungsbilanzüberschuss von 42,9 Milliarden Rial – oder 5,8 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt – ausgewiesen.

Die saudischen Behörden unternehmen nun den Versuch, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes als Ergebnis der anhaltenden Covid-19-Pandemie zu verkaufen. Schließlich habe die globale Pandemie für einen massiven Rückgang der weltweiten Rohölnachfrage gesorgt. In diesen Aussagen spiegelt sich allerdings nur die halbe Wahrheit wider.

Weiterer Ölpreiskrieg tat sein Übriges – Futures rutschten in den Negativbereich

Jener Schlüsselfaktor, der die allgemeine Lage an den internationalen Rohölmärkten nämlich noch auf extreme Weise verschärft hat, findet sich in der Tatsache, dass Saudi-Arabien sich obendrein auch noch dazu entschlossen hatte, zur selben Zeit einen weiteren Ölpreiskrieg vom Zaun zu brechen.

Aus Perspektive eines Marktes, der angesichts einer stark einbrechenden Nachfrage ohnehin schon saturiert gewesen ist, erwies sich die zeitweise Ausweitung der Erdölproduktion durch die Saudis aus angebotstechnischer Perspektive als eine einzige Katastrophe, was im Frühjahr schlussendlich zu einem nie zuvor zu beobachtenden Abdriften der WTI-Futures-Kontrakte in den negativen Bereich führte.

Trotz eines erstmals vor rund vier Jahren gescheiterten Versuchs, die amerikanische Fracking- und Erdölindustrie mittels eines angezettelten Preiskriegs bis ins Mark zu treffen, hatten sich die Saudis trotz der sich extrem verdüsternden Wirtschaftsaussichten in aller Welt nochmals auf ein solches Vabanque-Spiel eingelassen.

BND: Mohammed bin Salman – Machtstreben ohne Rücksicht auf Verluste

Der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) schätzte die Situation in einem im Jahr 2015 geleakten Dossier mit dem Titel „Saudi Arabien – Sunnitische Regionalmacht zerrissen zwischen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik und einer in der Heimat voranschreitenden Konsolidierung“ wie folgt ein: Danach habe der einst als Verteidigungsminister dienende und damals noch stellvertretende Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) versucht, seine eigene Position in der royalen Nachfolge zu stärken, vollkommen unabhängig davon, ob ein solches Vorgehen die bilateralen Beziehungen mit regionalen Verbündeten in Gefahr bringen würde oder nicht.

In dem BND-Papier wurde ferner geschlussfolgert, dass die einst vorsichtigen Bemühungen der Diplomatie seitens betagterer Mitglieder der saudischen Königsfamilie durch eine impulsive Interventionsstrategie substituiert worden sei. Der stellvertretende Wirtschaftsminister Al-Tuwaijri warnte die saudische Regierung im März dieses Jahres höchstpersönlich in einer bis dahin ungesehenen Art und Weise, um zu dem folgenden Schluss zu gelangen:

Falls wir als Land nicht schnell dringend notwendige Reformmaßnahmen einleiten und die globale Wirtschaft sich nicht verändern sollte, so werden wir in drei bis vier Jahren einem Bankrott ins Auge blicken.“

Wirtschaft, Gesellschaft und Soziales werden vernachlässigt

Bislang ist nicht viel geschehen. Vielmehr sind die sich aus den Ölpreiskriegen ableitenden Konsequenzen seitens MbS ignoriert oder gar heruntergespielt worden. Das Augenmerk des Kronprinzen scheint angesichts der Krankheit König Salmans stattdessen auf der persönlichen Positionierung im Hinblick auf die Thronfolge zu liegen.

Sowohl die wirtschaftliche als auch die sozial-gesellschaftliche Gesundheit Saudi-Arabiens werden indes sträflich vernachlässigt. Gleiches lässt sich aus Sicht der OPEC-Partner sagen. Allein der zwischen den Jahren 2014 und 2016 wütende Ölpreiskrieg hat den OPEC-Staaten laut Schätzungen der IEA kumulierte Öleinnahmeverluste in Höhe von 450 Milliarden US-Dollar beschert.

Folge war, dass Saudi-Arabien im Jahr 2015 von einem vorherigen Haushaltsüberschuss in ein rekordhohes Budgetdefizit in Höhe von fast einhundert Milliarden US-Dollar schlitterte. Gleichzeitig wurden damals bereits 250 Milliarden US-Dollar an Finanzreserven in den Ring geworfen, um sich gegen die damit verbundene Krise zu stemmen.

Überproduktion und Reserven auf Rekordniveau – keine Besserung in Sicht

Bereits vor Ausbruch des zweiten Ölpreiskriegs in 2020 sahen Analystenschätzungen in Bezug auf Saudi-Arabien jährlich jeweils recht hohe Haushaltsdefizite bis mindestens zum Jahr 2028 voraus. Nach wie vor gibt es kaum irgendwelche Anzeichen dahingehend, dass sich der massive Ölangebotsüberhang, der sich im Zuge der Covid-19-Krise noch verschärft hat, abbauen würde.

Größtenteils liegt das augenscheinlich an einer noch immer in Saudi-Arabien vorherrschenden Überproduktion. Bezug auf internationale Daten nehmend, sind die heimischen Erdölreserven der Saudis zuletzt auf das höchste Niveau seit dem Monat April geklettert. Ende September sollen sich diese heimischen Erdölreserven auf 78 Millionen Fass belaufen haben, während der Ausblick in Bezug auf die saudischen Schlüsselmärkte auf dem asiatischen Kontinent mit einer extrem hohen Unsicherheit behaftet ist.

Auch dieser Faktor lastet momentan wie ein Pfund Blei auf der Ölpreisentwicklung. Trotz der saudischen Preissenkungen zugunsten asiatischer Kunden in den beiden Monaten September und Oktober rechnen Analysten in den kommenden Wochen nicht mit einer Verbesserung der Liefersituation, weil viele Erdölraffinerien noch immer mit unter Druck stehenden Margen zu kämpfen haben.

Währungsreserven nähern sich kritischer Schwelle - Aramco in Verhandlungen mit BlackRock

Neben den sich ausweitenden Finanzproblemen bei einer sich gleichzeitig verschlechternden Einnahmesituation nähern sich die ausländischen Währungsreserven der Saudis zunehmend einer als kritisch empfundenen Schwelle, die unter Analysten als ein Minimum zugunsten einer notfalls notwendig werdenden Verteidigung der Währungskopplung zwischen dem Rial und dem US-Dollar erachtet wird.

Schon kommen Meldungen hinsichtlich einer beabsichtigten Veräußerung von Tafelsilber auf. Unter Bezugnahme auf verschiedene Medienberichte, befinde sich der Erdölkonzern Saudi Aramco momentan in Verhandlungen mit der globalen Vermögensverwaltungsfirma BlackRock und anderen international aktiven Investmentunternehmen, um einen Anteil an der eigenen Infrastruktur zu veräußern.

Selbstverständlich handelt es sich hierbei um das wichtige Pipeline-Geschäft des Konzerns. Summa summarum scheinen sich die Saudis Verkaufserlöse in Höhe von zehn Milliarden US-Dollar aus diesem anvisierten Geschäft zu erhoffen.

Versuch der Gesichtswahrung – Verkaufserlöse nur Tropfen auf den heißen Stein

Um diese erhofften Verkaufserlöse einmal in Assoziation mit dem durch MbS angerichteten Wirtschaftsschaden zu setzen, sei gesagt, dass diese angestrebten Erlöse aus der Veräußerung eines Teils der Schlüsselinfrastruktur des Königreichs gerade einmal dazu ausreichen würden, um garantierte Dividendenzahlungen zugunsten von Anteilseignern Saudi Aramcos über einen Zeitraum von 48 Tagen zu leisten.

Diese außergewöhnliche Garantieabgabe erweist sich ebenfalls als ein Produkt der Strategie von MbS, da der saudische Kronprinz augenscheinlich nicht sein Gesicht verlieren wollte, indem es zu einem Rückzug der Pläne eines Börsengangs von Saudi Aramco gekommen wäre. Denn internationale Investoren zeigten bis zu diesem Zeitpunkt kein großes Interesse, sich an der geplanten IPO zu beteiligen.

Projekte zur Diversifizierung weg von Öl liegen weitgehend auf Eis

Wen verwundert es im Angesicht der aktuellen Entwicklungen also noch, dass zahlreiche saudische Projekte, einschließlich der Errichtung einer zwanzig Milliarden US-Dollar teuren Chemiefabrik in Yanbu, inzwischen aufgegeben worden sind? Wie es unter Bezugnahme auf mehrere Nachrichtenquellen heißt, habe Saudi Aramco nun ebenfalls ein zehn Milliarden US-Dollar teures Projekt zur Expansion auf dem chinesischen Festland auf Eis gelegt.

Hierbei handelt es sich um ein Vorhaben in der nordöstlichen Provinz Liaoning, mittels dessen die Saudis rund siebzig Prozent des zu Raffineriezwecken benötigten Rohöls geliefert hätten. Dieses Vorhaben zielte auf eine Verarbeitung von 300.000 Fass Rohöl pro Tag ab. Es erweckt aus aktueller Sicht den Anschein, als ob fast alle geplanten Projekte Saudi Aramcos mit dem Zweck einer stärkeren Diversifizierung des saudischen Königreichs – weg vom Öl – momentan einer Überprüfung unterliegen, auf Eis gelegt oder gar aufgegeben werden.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Es zeigt sich, dass die beiden durch Saudi-Arabien vom Zaun gebrochenen Ölpreiskriege nicht nur das damit verbundene Ziel einer Zerstörung der amerikanischen Fracking- und Ölindustrie verfehlt haben, sondern dass die durch MbS gewählte Strategie nun wie ein Bumerang auf das eigene Land zurückfeuert.

Inzwischen bedient sich die saudische Führung Maßnahmen der Austerität, die unter der Bevölkerung für eine Destabilisierung des sozialen Friedens sorgen, während sich die Anhäufung von ausländischen Währungsreserven seit dem Erreichen des Höhepunkts mittlerweile fast halbiert haben. Es sollte sich ob der verbleibenden Devisenreserven niemand blenden lassen, da die Kopplung des Rial an den US-Dollar gegen Spekulanten notfalls glaubhaft zu verteidigen sein wird, wofür ein ausreichendes Maß an ausländischen Währungsreserven vorhanden sein muss.

Ähnlich wie die VAE blickt Saudi-Arabien einer Vielzahl von Problemen ins Auge, die sich nicht über Nacht werden lösen lassen. Letzten Endes steht nun die finanzielle Umsetzbarkeit des gesamten Projekts namens „Vision 2030“ von MbS samt der Überlebensfähigkeit des saudischen Königshauses auf dem Spiel.

Gastbeitrag für CK*Wirtschaftsfacts / Simon Watkins/ Oilprice.com

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